Der Hochfrequenzhandel muss transparenter werden
Ftd 18-09-2012 online
© Bild: 2011 Reuters/PAWEL KOPCZYNSKI
Kommentar Deutschland prescht mit einem Gesetz zur Regulierung des
automatisierten Börsenhandels vor. Der Entwurf geht nicht weit genug:
Eine Pflicht zur Kennzeichnung ist unerlässlich. von Florian Rentsch
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Florian Rentsch ist hessischer Minister für Wirtschaft, Verkehr und
Landesentwicklung.
Die letzten Jahrzehnte haben die Finanzmärkte grundlegend verändert. Aus
dem Parkett ist eine elektronische Börse mit neuen Handelsformen
geworden. Eine von ihnen ist der sogenannte Hochfrequenzhandel. Dabei
werden automatisiert sehr viele Aufträge in unvorstellbar kurzen
Zeiträumen an die Handelsplätze geleitet. Ziel ist das Ausnutzen von
Preisdifferenzen zwischen Handelsplattformen und die Bereitstellung von
Liquidität, das sogenannte Market-Making. Doch es geht auch um
Marktbeeinflussung, indem Aufträge massenhaft eingestellt und sofort
wieder gelöscht werden. Der Hochfrequenzhandel hat die Anzahl an Orders,
also Kauf- und Verkaufsaufträgen, steil in die Höhe getrieben - die der
Transaktionen jedoch weitgehend unberührt gelassen. Hunderte von
Ordereinstellungen haben oft nur noch eine Transaktion zur Folge.
Florian Rentsch (FDP)
Inzwischen macht der Hochfrequenzhandel ein Drittel bis zur Hälfte des
gesamten Handels aus. Öffentliche Aufmerksamkeit hat er erstmals durch
spektakuläre Systemzusammenbrüche erfahren, die sogenannten
Flash-Crashs. Insbesondere in den USA ist das Thema präsent, seit etwa
beim Börsengang der Börsenplattform Bats die Aktie in 900 Millisekunden
von 15,25 Dollar auf 0,2848 Dollar gestürzt war. Damit wurde die Frage
der Regulierung aufgeworfen. In dieser Diskussion lassen sich zwei
Grundpositionen unterscheiden: Die eine sieht die Lösung in einer
Entschleunigung des Handels. Die andere will neue Handelsmethoden und
die aus ihnen folgenden strukturellen Veränderungen zulassen, sie aber
so regulieren, dass die klassischen Ziele, Systemstabilität,
Verhinderung missbräuchlicher Strategien und Dämpfung zu hoher
Volatilität, erreicht werden. Diesem Ansatz folgt ein Entwurf des
Bundesfinanzministeriums vom Juli.
Der Entwurf ist zweifellos ein richtiger Schritt zur Verbesserung der
Finanzmarktregulierung. Es bedarf jedoch einiger Nacharbeit, um aus dem
guten Konzept ein wirksames Instrument zu machen. Völlig zu recht will
das Bundesfinanzministerium die Aufsicht ausweiten, indem alle
Unternehmen einbezogen werden, die den Hochfrequenzhandel nutzen, und
die Informationsrechte der Aufsichtsbehörden stärken. Die Handelsplätze
sollen zudem ein angemessenes Verhältnis von Aufträgen und
Geschäftsabschlüssen fördern und Mindestpreisänderungsgrößen festlegen.
Wenn Handelsteilnehmer die Grenzen überschreiten, sollen erhöhte
Entgelte fällig werden. Manipulative Handelspraktiken würden damit
unrentabel.
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Das Gesetz wäre aber wirkungslos, wenn es sich nur auf inländische
Handelsunternehmen bezöge, die Hochfrequenzhandel nutzen. Denn es ist
fraglich, ob im Ausland ansässige Handelsunternehmen, die außer ihrer
Handelstätigkeit keine weiteren geschäftlichen Berührungspunkte auf dem
Gebiet der Bundesrepublik Deutschland haben, von dem Gesetzesentwurf
erfasst werden können. Besser wäre daher eine Regelung, die an die
Eigenschaft als Börsenteilnehmer anknüpft und damit alle am Handel
Beteiligten unabhängig von ihrem Sitzland erfasst.
Unerlässlich für eine effiziente Überwachung ist auch eine
Kennzeichnungspflicht. Jeder Auftrag, der an einen Handelsplatz
übermittelt wird, muss zu erkennen geben, ob er von einem
automatisierten Handelssystem stammt - und von welchem. Nur so ist es
möglich, Algorithmen zielgerichtet abzustellen, wenn eine Fehlfunktion
die Marktstabilität gefährdet. Zudem lassen sich elektronisch
übermittelte Wertpapierorders dann auf ihren Auftraggeber zurückführen.
Grundsätzlich ist eine im Binnenmarkt harmonisierte Vorgehensweise bei
der Finanzmarktregulierung zu bevorzugen. Die zeitnahe Umsetzung des
jetzt vorliegenden Entwurfs vor einer bereits geplanten Regelung durch
die Europäische Union hat aber den Vorteil, Zeitverluste bei der
Reaktion auf die geänderten Marktverhältnisse zu vermeiden. Zudem würde
ein erster Maßstab für eine Regulierung gesetzt, die Standards für die
Aufsicht sicherstellt und gleichzeitig Raum für neue
Handelsentwicklungen lässt.