Superrechner erreicht neue Dimension:
Was kann er eigentlich? Interview mit
dem Entwickler
Superrechner erreicht neue Dimension: Was kann er eigentlich? Interview mit
dem Entwickler
© CC0 / Colin Behrens / Pixabay
Wissen
14:26 14.12.2019(aktualisiert 14:31 17.12.2019) Zum Kurzlink
Eines der seit fast 30 Jahren wichtigsten und am meisten diskutierten
wissenschaftlich-technischen Projekte der Welt ist der Quantencomputer. Über
die wichtigsten Nuancen seiner Arbeit und über akute Aufgaben auf diesem
Gebiet spricht Professor Alexej Ustinow im nachfolgenden Interview.
Ustinow ist ein weltweit anerkannter Experte, Leiter des Labors
„Supraleitende Metastoffe“ bei der russischen Nationalen
Kernforschungsuniversität (MEPhi). Außerdem ist er Leiter der Gruppe
„Supraleitende Quantennetze“ im Russischen Quantenzentrum sowie Professor
des Karlsruher Instituts für Technologie.
- Herr Ustinow, sagen Sie bitte: Was wollen wir eigentlich von einem
Quantencomputer?
- Meines Erachtens geht es in erster Linie um die Entwicklung von Stoffen
mit vorgegebenen Eigenschaften. Um ein Molekül mit mehr als 50 inneratomaren
Verbindungen zu entwickeln, reicht vorerst nicht einmal die Gesamtstärke
aller Computer der Welt aus. Aktuell können wir nur neue stabile Moleküle
entwickeln, indem wir experimentell ihre chemischen Eigenschaften prüfen,
während ein Quantencomputer diese Aufgaben analytisch lösen könnte.
Googles Quantensprung: Statt 10.000 Jahre nur 200 Sekunden gerechnet
Es gibt viele Probleme, die klassische Computer nicht lösen können. Die
Prinzipien einer ganzen Reihe von Bereichen – von der Kryptographie bis zur
künstlichen Intelligenz – könnten mit der Entstehung des Quantencomputers
völlig anders werden.
Man muss ja darauf hinweisen, dass nach der Erfindung des Transistors mehr
als zehn Jahre vergangen waren, bis die Idee zur Entwicklung eines
Mikroprozessors entstand und bis die Aufgaben klar wurden, die er erfüllen
könnte. Ich denke, die Situation um den Quantencomputer ist ähnlich – wenn
wir die prinzipiellen Schwierigkeiten in den Griff bekommen und ihn
effizient bauen können, werden wir viele neue Möglichkeiten entdecken.
- Was ist ein Qubit?
- Das ist ein Analog für den Bit im Quantencomputer. Aus der Sicht der
Information ist das ein System, das gleichzeitig alle Werte zwischen 1 und 0
haben kann – im Unterschied zum Bit, das entweder 1 oder 0 sein kann – aber
nichts mehr.
Rein physisch könnte jedes Teilchen ein Qubit sein: Atom, Elektron, Photon.
Der Magnetmoment eines Teilchens hat zwei Richtungen – sagen wir, nach oben
und nach unten – und gerade diese Zustände werden zu den Analogen für 1 und
0 im klassischen Computer.
Die Informationen in Bits kann man nur konsequent – Bit für Bit –
bearbeiten, während Qubits es ermöglichen, dank dem Effekt der
Quantenparallelität die ganze Datenmenge auf einmal zu bearbeiten.
- Wie verlaufen Operationen mit dem Qubit?
- Die möglichen Werte des Qubits kann man sich wie eine Kugeloberfläche mit
einem Einheitsradius vorstellen: Experten nennen das „Bloch-Kugel“. Logische
Operationen während der Berechnung erfolgen durch die Bewegung eines Punktes
auf dieser Oberfläche.
Die Verwaltung von Qubits erfolgt durch Mikrowellensignale, die den
energetischen Zustand des Teilchens verändern. Die Ergebnisse werden von
einem speziellen Resonator abgelesen: Das ist etwas, als würde man den auf
den Qubit eingestellten Ton hören, der aber in einem Frequenzbereich liegt,
der für Mobiltelefonie typisch ist.
- Wie viele Qubits wären nötig, damit der Computer funktioniert?
- Meines Erachtens ist die Zahl nicht entscheidend. Die Stärke des
Quantencomputers wächst nicht proportional zur Zahl der Qubits, sondern
exponentiell: Wenn wir beispielsweise zu 15 Qubits noch einen Qubit
hinzufügen, werden wir die gesamte Rechenleistung verdoppeln.
Aber um einen Qubit zu schaffen (auf den ersten Blick ist das ein sehr
einfaches System, das aus nur einem Teilchen besteht), muss man sehr viele
Momente berücksichtigen. Damit beispielsweise bedachte Operationen möglich
werden, muss man physische Hindernisse beseitigen, die Rechnungsfehler
verursachen können – von Temperaturschwankungen bis zu kosmischen Strahlen.
Andernfalls wird statt Berechnungen nur ein Rauschen entstehen.
Deshalb glaube ich, dass im Moment am Wichtigsten ist, die Eigenschaften der
Qubits und die Qualität ihrer Verbindungen zu verbessern. Die Fehler, die
bei einem Qubit entstehen, können schon fatal werden, und mit der Zahl der
Qubits wächst auch die Fehlerzahl. Prinzipiell wichtig ist die Aufgabe, die
Dekohärenz zu überwinden – also ein stabiles und glatt funktionierendes
System aus vielen Qubits zu schaffen.
- Es gibt bekanntlich verschiedene Projekte des Quantencomputers. Welche von
ihnen sind Ihres Erachtens besonders aussichtsreich?
- Es werden zwei wichtigste Plattformen entwickelt. Bei der ersten werden
Ionen im Vakuum verwendet, die durch eine Elektromagnetfalle fixiert werden.
Die zweite Plattform, an deren Entwicklung unter anderem unsere Labore
beteiligt sind, verwendet so genannte Quantenschemata mit dem
Josephson-Übergang: Das sind äußerst dünne Aluminium- und
Aluminiumoxidfolien auf einer dielektrischen Unterlage, die praktisch auf
absolut Null abgekühlt werden.
Die Entwicklung eines universalen Quantenrechners ist eine Aufgabe, von
deren Lösung wir noch sehr weit entfernt sind – das müssen wir quasi
zugeben. Die meisten bisherigen Ergebnisse wurden auf so genannten
Quantensimulatoren erreicht – auf Anlagen, die für die Lösung von konkreten
mathematischen Aufgaben sowie von Aufgaben auf dem Gebiet der theoretischen
Physik bestimmt sind, für deren Erfolg der Umfang der Fehler nicht so
wichtig ist.
- Welche Errungenschaften könnten Sie auf diesem Gebiet hervorheben?
- Das Hauptproblem bei der Quantenrechnung besteht in der Aufrechterhaltung
der Qubits-Kohärenz. In den vergangenen 15 Jahren wurden auf diesem Gebiet
große Fortschritte errecht: Die Kohärenzzeit der supraleitenden Qubits
beträgt heutzutage einige Dutzende Mikrosekunden, und das ist schon sehr
viel, auch wenn vorerst nicht ausreichend für die Lösung von angewandten
Aufgaben.
Die Firma Google hat im Oktober einen Quantenprozessor vorgestellt, der
faktisch ein Zufallszahlengenerator ist, mit dem im Laufe von 200 Sekunden
eine Aufgabe gelöst wurde, für die ein superstarker IBM-Rechner zweieinhalb
Tage brauchen würde. Ich denke, dass ist der erste eindeutige Ausdruck der
„Quantenüberlegenheit“.
In Russland wurde auf Basis von mehreren führenden Quantenlaboren (MEPhi,
Moskauer Institut für Physik und Technologie (MIPT), Staatliche Technische
Universität Moskau „N. E. Bauman“, Russisches Quantenzentrum (RQC), Institut
für Festkörperphysik der Russischen Akademie der Wissenschaften) ein
supraleitendes Qubits-Konsortium gegründet, das sich erfolgreich entwickelt.
In den letzten drei Jahren haben wir eine kolossale Arbeit geleistet – man
kann durchaus sagen, dass wir einen zehnjährigen Rückstand auf diesem Gebiet
aufgeholt haben. Ich denke, unser Niveau ermöglicht es uns durchaus, unseren
eigenen Forschungsweg in diesem äußerst wichtigen Wettrennen zu gehen.
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