Beispiele für erfolgreiche Angriffe
Cyberwar „Dann fällt der Strom landesweit aus …“ – Wie real
ist die Kriegsgefahr?
Alexander Boos
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Der Begriff „Cyber-Krieg“ ist längst zu einem
Schlagwort der internationalen Sicherheitspolitik geworden. Doch wie
gefährlich ist ein Cyber-Angriff? Was passiert bei einem solchen? Und:
Kann sich Deutschland mit neuer Netz-Agentur schützen? „Berlins
Cyber-Abwehr ist sehr schlecht“, erklärt renommierter
Informatik-Experte. Sputnik auf Spurensuche.
„Ein Cyber-Angriff läuft zeitlich überaus
schnell ab“, entwarf IT-Experte Hartmut Pohl im Sputnik-Interview ein
mögliches Szenario eines Cyber-Kriegs. „In Millisekunden, dann ist er
vorbei“, sagte der Sprecher des Präsidiumsarbeitskreises „Datenschutz
und IT-Sicherheit“ der Bonner Gesellschaft für Informatik. Potentielle
Ziele einer feindlichen Cyber-Attacke seien meist staatliche
Infrastrukturen, beispielsweise das regionale oder nationale
Stromversorgungsnetz. Die ganze Gesellschaft breche zusammen, wenn der
Strom ausfällt.
„Ein staatlicher Cyber-Angriff schafft das.
Dann fällt der Strom in der Stadt aus, vielleicht in der gesamten
Region. Möglicherweise auch in ganz Deutschland. Wenn es ganz schlimm
wird in ganz Europa. Die Konsequenz ist: Es gibt kein Geld mehr, weil
die Geldautomaten ausfallen. Wir kriegen bald kein Benzin mehr. Denn
Benzin wird mit Elektropumpen in die Autos gepumpt. Wir haben kein
Wasser. Denn Wasser wird über Elektropumpen durch die Leitungen
transportiert. Supermärkte und Krankenhäuser schließen mit dem letzten
Rest-Strom. Notstromaggregate reichen vielleicht für drei Tage. Das gibt
aus meiner Sicht einen Bürgerkrieg nach mindestens drei Tagen.“
Wer war es?
Laut dem Informatik-Sicherheitsexperten
stellt das Identifizieren der Cyber-Angreifer eine große Herausforderung
für alle Akteure dar. „Sie wissen nicht, wo es herkommt: Das ist das
größte Problem dieser Cyber-Kriege. Ist es der Angreifer, den Sie
ausgemacht haben? Wo ist der Beweis?“
© Sputnik / Natalia Seliwerstowa
Cyberattacke auf Berlin: „Wie im Kalten
Krieg: Wetter und Hacker kommen aus Russland“
Das Vortäuschen falscher Quellen sei im
Cyber-Raum gang und gäbe. „Das machen wir mit den Studenten im zweiten
Semester. Da kann man sich tarnen, einen fremden Server übernehmen und
diesen zum angeblichen Angriffs-Server machen.“ Das betonte Pohl, der
ebenso als geschäftsführender Gesellschafter der Bonner IT-Firma
„SoftScheck“ in Sankt Augustin (Nordrhein-Westfalen) tätig ist.
„Angriffe auf lebensnotwendige Infrastruktur“
„Cyber War ist ein Sammelbegriff für alle
möglichen kriegsrelevanten Ereignisse, die mit der digitalen Welt zu tun
haben“, erklärte Andrej Hunko, europapolitischer Sprecher der Fraktion
Die Linke im Bundestag, gegenüber Sputnik. „Das umfasst Angriffe auf
lebensnotwendige Infrastruktur von Staaten. Also Energieversorger,
Krankenhäuser, Häfen oder Flughäfen.“ Jeder Staat entwickle seine
eigenen Cyber-War-Fähigkeiten – egal ob nun die USA, Russland oder
China. Natürlich sei das ein großes, internationales Problem.
© Foto : Pixabay
Warnung vom Verfassungsschutz: Linksradikale
und Anarchisten planen massive Cyberangriffe - Medien
Aus Pohls Sicht unterhalten alle Staaten
Aktivitäten im „Cyber-War“. „Nicht nur Staaten, sondern auch die
organisierte Kriminalität und Kleinkriminelle. Da sind sehr viele
Akteure tätig. Unterschiede zwischen diesen sind sehr schwer zu
erkennen. Die Informationen fließen aus dem staatlichen, auch aus dem
nachrichtendienstlichen Bereich, zur organisierten Kriminalität und
wieder zurück. Aus meiner Sicht wird da international agiert. Man
tauscht sich international aus.“
Welche Rolle spielt Russland?
Russlands Rolle dabei könne er nur schwer
beurteilen, so der Informatik-Experte. „Aus meiner Sicht berichten die
Medien in Deutschland unzulänglich über Russland. Aber auch die
US-Amerikaner veröffentlichen nicht alles. Auch wenn wir glauben, viel
über die Cyber-Aspekte der USA zu wissen. Das ist beileibe noch nicht
alles.“ Beispielsweise hatten die Enthüllungen des ehemaligen
NSA-Mitarbeiters Edward Snowden offenbart, dass sich der US-Geheimdienst
auch „umfassend und offensiv für Cyber-Angriffe rüstet.“ Das geht aus
diversen Medienberichten hervor.
© Sputnik / Sergej Piwowarow
Droht direkte militärische Konfrontation
zwischen Russland und dem Westen?
Laut Hunko läuft in Bezug auf Russland „seit
drei, vier Jahren eine Propaganda in den westlichen Medien, wo immer
wieder ein Bedrohungsgefühl erzeugt wird. Ohne das konkret zu belegen.
Es gab auch ein Jahr vor der Bundestagswahl Meldungen – die meistens aus
Geheimdienstquellen kamen, dass die Wahl durch Cyber-Angriffe aus
Russland bedroht sei. Ich habe dazu immer wieder nachgefragt bei der
Bundesregierung. Belegbare Fakten und tatsächliche Erkenntnisse wurden
mir da nie präsentiert. Es waren meist Mutmaßungen.“
Deutschlands Cyber-Abwehr: „Besonders
schlecht“
© AFP 2018 / Olivier Douliery
Von der Leyen nennt die größte Gefahr
Die ganze Debatte um den „Cyber-War“ diene
letztlich zur Legitimierung der bundesdeutschen Aufrüstung. In diesen
Kontext ordnete der Linkspolitiker auch die neue „Cyber-Agentur“ der
Bundesregierung ein. „Deutschland bekommt eine Agentur für innere
Netzsicherheit“, schrieb die „Zeit“ Ende August. „Eine Behörde für
Cybersicherheit gibt es schon – nun gründet die Regierung ein
Unternehmen, das zu dem Thema forschen soll.“ Anfang 2019 soll die
bundesdeutsche Behörde, die beim Verteidigungs- und dem Innenministerium
angesiedelt wird, ihre Arbeit aufnehmen.
„Wir haben in Deutschland ein massives
Defizit an Verteidigungs- und Erkennungs-Programmen“, kommentierte
Informatik-Experte Pohl. „Da müssen erst Methoden und Techniken
entwickelt werden, um feindliches Verhalten zu erkennen. Und dazu dienen
dann diese Cyber-Organisationen. Das zeigt auf, dass die Regierung ein
Problem sieht. Wir können uns aktuell wohl nicht so verteidigen, wie wir
es gerne möchten.“ Dennoch komme die Einrichtung „zu spät. Alle
Industrie-Staaten der EU sind da bei weitem besser aufgestellt als
Deutschland.“
Die Kooperation zur Cyber-Abwehr sei in
Deutschland „ausgesprochen schlecht und muss aus meiner Sicht massiv
ausgebaut werden. Auch, weil das Know-How bei den deutschen Behörden
nicht vorhanden ist.“
Internationale Regeln notwendig?
Cyber-Sicherheit beginne zudem am eigenen
Heim-PC. Bei jedem einzelnen Nutzer. „Derzeit auf dem Markt befindliche
Office-Software und PC-Hardware enthält Sicherheitslücken, die seit über
zehn Jahren bekannt sind.“ Dies seien leicht zu identifizierende
Einfallstore für Hacker und Cyber-Angreifer. „Politisch brauchen wir
verbindliche UNO-Abkommen im Cyber-Bereich“, forderte der
Informatik-Professor.
© Sputnik / Kirill Kallinikov
Angriff erlaubt! US-Militärs dürfen
präventive Hackerattacken starten
Dem pflichtete Hunko bei. „Man müsste hier zu
internationalen Konventionen kommen.“ Zudem verwies der
Sicherheitspolitiker der Linksfraktion auf eine kommende Cyber-Übung im
Herbst. „Im November startet die EU zusammen mit der Nato ein großes
Manöver, eine große Übung im Cyber-Raum. Die nennt sich ‚Hybrid Exercise
Multilayer 18‘ – und ist ein Spiegelbild der reellen militärischen
Aufrüstung.“ Die Übung findet vom 19. bis 23. November statt. Der
Linkenpolitiker hatte dazu bereits im August gemeinsam mit seinen
Parteigenossinnen Heike Hänsel und Anke Domscheit-Berg eine Kleine
Anfrage an die Bundesregierung gestellt.
Das Radio-Interview mit Prof. Hartmut Pohl
zum Nachhören:
https://de.sputniknews.com/politik/20180911322292593-cyberkrieg-gefahr-deutschland/