BND-Spionage
Deutscher Bundestag will sich mit neuen Vorwürfen beschäftigen –
Opposition wirft Spionageabwehr Versagen vor
Wien – Österreich fordert nach den von DER STANDARD und "Profil"
aufgedeckten Spionageaktionen des deutschen Bundesnachrichtendienstes
(BND) "volle Aufklärung" von Deutschland. "Ein Ausspionieren unter
befreundeten Staaten ist nicht nur unüblich und unerwünscht, es ist auch
nicht akzeptabel", sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am
Samstag bei einem gemeinsamen Presseauftritt mit Bundeskanzler Sebastian
Kurz (ÖVP).
Kurz hatte zuvor mit Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), den Chefs der
österreichischen Nachrichtendienste, darunter BVT-Direktor Peter
Gridling, sowie Spitzenbeamten des Innen-, Außen-, Verteidigungs- und
Justizministeriums im Bundeskanzleramt über die Spionagecausa beraten.
Die Sitzung wurde aufgrund von Medienberichten anberaumt, wonach der BND
in den Jahren von 1999 bis 2006 insgesamt 2.000 Telefon-, Fax- und
Mobilanschlüsse in Österreich ausspioniert habe, neben Behörden auch
Unternehmen, NGOs und internationale Organisationen.
Der Bundeskanzler sagte, das Ausmaß sei "ein gewaltiges". Zwar lägen die
Vorfälle schon ein Jahrzehnt zurück, aber "schon vor zehn Jahren war es
nicht richtig, Partner auszuspionieren". Van der Bellen sagte, dass
solche Aktionen "auf Dauer das Vertrauen zwischen den Staaten infrage
stellen" würden. Daher müsse Deutschland nun "Klarheit" herstellen und
aufklären, ob und in welchem Ausmaß die Spionageaktionen stattgefunden
hätten. Zudem fordere Österreich, dass sie eingestellt werden, "falls
sie am Laufen sein sollten, was wir nicht annehmen".
Kurz: Erste "Verdachtsmomente" schon 2014
Kurz berichtete, dass es in dieser Causa schon im Jahr 2014 "erste
Verdachtsmomente" gegeben habe. Die daraufhin von der Staatsanwaltschaft
eingeleiteten Ermittlungen "konnten nicht erfolgreich abgeschlossen
werden, weil Deutschland eine Kooperation damals verweigert hat", sagte
der Kanzler, der damals Außenminister war. Er zeigte sich aber
zuversichtlich, dass das Nachbarland diesmal kooperativer sein werde.
"Wir sind guter Dinge, dass Deutschland bereit sein wird, diese Vorwürfe
aufzuklären und Transparenz zu schaffen." Dies sei "auch eine
Erwartungshaltung", fügte er hinzu.
Van der Bellen wollte auf eine Frage der APA nicht darüber spekulieren,
ob Österreich diplomatische Maßnahmen gegen Deutschland ergreifen
könnte. Dafür sei es "ein bisschen früh". "Jetzt warten wir ab, wie die
deutschen Behörden reagieren, ob sie zu einer vollständigen Klärung
bereit sind, wovon ich ausgehe. Dann sehen wir weiter." Van der Bellen
bezeichnete die Verdachtsmomente als "ernst". "Ich persönlich lege auf
meine Privatsphäre großen Wert", ergänzte er.
Österreich will insbesondere wissen, ob die Überwachungsaktionen
tatsächlich im Jahr 2006 eingestellt worden seien. Derzeit gebe es
"keine Indizien dafür, dass die Überwachung (nach dem Jahr 2006)
fortgesetzt wurde", sagte Kurz. Durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2016
seien solche Aktionen zudem "nicht mehr legal möglich in Deutschland".
Deutscher Bundestag ermittelt
In Deutschland trat unterdessen bereits der Bundestag auf den Plan. Das
Parlamentarische Kontrollgremium der Geheimdienste (PKG) will nach
Angaben seines Vorsitzenden Armin Schuster, "prüfen, ob die Vorwürfe neu
sind oder ob sie Teil der schon 2015 bekannt gewordenen Vorwürfe sind".
Wie Schuster den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Sonntag sagte,
soll es bis Ende kommender Woche erste Erkenntnisse geben. Möglich sei
eine Sondersitzung des Gremiums in der übernächsten Woche.
Der CDU-Politiker bekräftigte, dass es "oft weder verhältnismäßig, noch
in der Sache erklärbar" gewesen sei, dass der BND in der Vergangenheit
andere europäische Staaten bespitzelt habe. Als Konsequenz daraus habe
der Deutsche Bundestag in der vergangenen Legislaturperiode auch das
BND-Gesetz geändert. Es setze "dem Dienst ganz andere Voraussetzungen
als noch vor 2015", sagte Schuster.
Opposition ortet Versagen
Rasche Aufklärung forderten die Oppositionsparteien. "Ich hätte mir das
nicht erwartet, dass wir heute von einem Nachbarstaat in dieser Art und
Weise – wenn das stimmt – institutionell und systematisch ausspioniert
werden", sagte Ex-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) am
Samstag bei einer Pressekonferenz. Ex-Kanzler Christian Kern sagte, er
wisse nichts Näheres über die BND-Aktivitäten in Österreich.
NEOS-Sicherheitssprecherin Stephanie Krisper kritisierte, dass
Österreich angesichts der "Massenüberwachung" durch ausländische
Geheimdienste "zu lax" gewesen sei. Es sei fraglich, ob die Behörden in
der Lage seien, ihre Bürger und Unternehmen überhaupt effektiv zu
schützen. Ins selbe Horn stieß die Liste Pilz, die dem Verfassungsschutz
in der Causa "totales Versagen" vorwarf und auf
Sachverhaltsdarstellungen von Listengründer Peter Pilz im Jahr 2015
verwies. Seither sei aber "nichts unternommen" worden. "Unter den Augen
von ÖVP-Innenministern und Verfassungsschützern können BND, NSA und CIA
bis heute in Österreich tun und lassen, was sie wollen!", kritisierte
Pilz.
Das Nachrichtenmagazin "profil" und die Tageszeitung "Der Standard"
hatten am Freitag berichtet, dass laut einer vorliegenden BND-internen
Datei zwischen 1999 und 2006 insgesamt 2.000 Telefon-, Fax-und
Mobilanschlüsse sowie E-Mail-Adressen in Österreich in Visier genommen
wurden. Bereits 2015 war bekannt geworden, dass der BND "befreundete
Länder" aus aller Welt gezielt ausspioniert haben soll. (red, APA,
16.6.2018)
https://derstandard.at/2000081710162/Oesterreich-verlangt-in-Spionageaffaere-volle-Aufklaerung-von-Deutschland