Die Liste: Wen der deutsche Geheimdienst
in Österreich ausspähte
Fabian Schmid, Markus Sulzbacher
15. Juni 2018, 18:00
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Fast 2.000 Anschlüsse bei Unternehmen,
Behörden und Organisationen wurden abgeschöpft – das wirft heikle Fragen
nach Wirtschaftsspionage auf
Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND)
hat in Österreich tausende Ziele im Visier – und das bereits seit den
späten 1990er-Jahren. Das geht aus einer Liste an Spionagezielen in
Österreich hervor, die STANDARD und "Profil" vorliegt. Der BND nahm
Ministerien in Wien, Firmen, internationale Organisationen, islamische
Einrichtungen ebenso wie Terrorverdächtige und Waffenhändler ins Visier.
Selbst für Universitätsprofessoren interessierte sich der Geheimdienst.
Sie alle wurden elektronisch ausgespäht. Das zeigt die Liste sogenannter
Selektoren, die fast 2.000 Ziele umfasst: etwa Telefonnummern,
Faxanschlüsse, E-Mail-Adressen oder Namen. Die Selektoren sind mit
unterschiedlichen Kürzeln versehen: TEF steht etwa für
"Terrorismusfinanzierung", GWI für "Geldwäsche International". Die
abgefangenen Informationen wurden laut Liste auch mit anderen
Geheimdiensten geteilt. Der BND tauschte etwa Informationen mit der
US-amerikanischen NSA aus, die ihm dafür Abhöreinrichtungen zur
Verfügung stellte.
Selektoren
Vereinfacht gesagt, sind Selektoren
Suchbegriffe, mit denen der BND in abgefangenen Daten nach relevanten
Inhalten sucht. Der Geheimdienst untersucht beispielsweise
Internetleitungen, durch die riesige Datenmengen fließen. Taucht
beispielsweise die E-Mail-Adresse eines Terrorverdächtigen auf, die als
Selektor ausgewählt wurde, springt das System an. Dann können Agenten
nachsehen, wann die Zielperson mit wem wie lange kommuniziert hat. Die
Liste gibt keine Auskunft darüber, ob auch Inhaltsdaten erfasst wurden.
Das dürfte teilweise der Fall gewesen sein, etwa bei Faxgeräten – das
lässt sich derzeit jedoch nicht belegen.
Fast alle großen österreichischen Unternehmen
und Banken befinden sich auf der Liste, die Spionageziele ab 1999 zeigt:
die Voest, Fahrzeugbauer Rosenbauer, Drohnenhersteller Schiebel, die
Raiffeisen Zentralbank, die Bank Austria oder Swarovski. Ein besonderes
Interesse hatte der BND wenig überraschend an Waffenherstellern aus
Österreich. Neben den Schwergewichten Glock, Steyr Mannlicher und
Hirtenberger finden sich zahlreiche kleinere Produzenten, wie ein
Büchsenmacher, in der Liste mit Spähzielen.
Aber auch viele klein- und mittelständische
Unternehmen aus anderen Branchen erregten die Aufmerksamkeit der
deutschen Spione: unter anderem Holzhändler, Aluminiumbetriebe oder
Wärmepumpenhersteller. Die Österreich-Dependancen internationaler
Konzerne, etwa Ericsson oder Bombardier, wurden ebenfalls abgeschöpft.
Daher stellt sich die Frage, ob der BND über seine Zielaufgaben hinaus
auch Wirtschaftsspionage in Österreich betrieben hat, um Deutschland
einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Das wäre auch nach deutschem
Recht unzulässig.
Der Fahrzeugbauer Rosenbauer wurde ebenfalls
ausgespäht.
Vertrauen erschüttert
Außerdem wird das Vertrauen zwischen den
beiden EU-Mitgliedstaaten Österreich und Deutschland erschüttert, die
seit Jahrzehnten eng kooperieren. Zwar befinden sich keine privaten
Nummern oder E-Mail-Adressen österreichischer Politiker auf der Liste,
die laut deutschen Quellen einen Großteil, aber nicht alle Ziele in
Österreich abbildet. Allerdings bestätigt die Liste, dass eine Reihe von
Ministerien abgeschöpft wurde: etwa Anschlüsse im Bundeskanzleramt, im
Wirtschafts- und im Innenministerium. Diese wurden 1999 in der
Selektorenliste hinzugefügt – also kurz nachdem die FPÖ bei der
Nationalratswahl hinter der SPÖ und vor der ÖVP auf Platz zwei gelandet
war. Später wurden dann auch Verteidigungs- und Umweltministerium in die
Spähliste aufgenommen. Außerdem wurde ein Faxgerät in der
österreichischen Nachrichtenagentur APA sowie ein weiteres Faxgerät
eines österreichischen Journalisten abgeschöpft. Ins Visier geriet auch
die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), die als
offizielle Vertretung der Muslime in Österreich fungiert.
Fokus auf Uno und Botschaften
Einen besonderen Fokus legten die Ausspäher
auf die internationalen Organisationen in Wien. Bei der Uno überwachte
der deutsche Geheimdienst 128 Telekommunikationsanschlüsse. 75
Botschaften wurden ebenfalls ins Visier genommen. Neben den üblichen
Verdächtigen wie dem Iran, Russland oder Nordkorea auch jene
befreundeter Staaten wie die Niederlassungen Frankreichs, Israels und
der USA.
Der BND wollte die Enthüllungen von STANDARD
und "Profil" nicht kommentieren: "Zu den operativen Aspekten seiner
Arbeit berichtet der Bundesnachrichtendienst grundsätzlich nur der
Bundesregierung und den zuständigen, geheim tagenden Gremien des
Deutschen Bundestages."
Die Ziele lassen sich nur teilweise durch das
Aufgabenprofil des Bundesnachrichtendienstes erklären. Dieser soll
beispielsweise Gefahrenlagen im Ausland analysieren, die Einhaltung von
Sanktionen sowie die Aktivitäten von Terroristen beobachten und
Proliferation – also die Verbreitung gefährlicher Waffen – verhindern.
Dazu bedient sich der BND einer ganzen Reihe
von Methoden. Er sucht etwa menschliche "Quellen", die Informationen
liefern, oder analysiert öffentlich zugängliche Publikationen. Eine
immer wichtigere Rolle spielt aber das Abfangen von elektronischer
Kommunikation. Das zeigte die Affäre rund um den US-Geheimdienst NSA,
dessen globales Überwachungsnetz vor fünf Jahren vom Whistleblower
Edward Snowden offengelegt worden war.